Deutsche Ausgleichsansprüche für Vertragshändler als international zwingender Schutzstandard – Nachteil für die deutsche Exportwirtschaft ? (nach BGH, Urteil v. 25.02.2016 – Az. VII ZR 102/15)
Deutsche Ausgleichsansprüche für Vertragshändler als international zwingender Schutzstandard – Nachteil für die deutsche Exportwirtschaft ? (nach BGH, Urteil v. 25.02.2016 – Az. VII ZR 102/15)
Wenn ein deutsches Exportunternehmen in seinen Vertriebsverträgen die Geltung deutschen Rechts vereinbart und der Vertragshändler seiner Vertriebstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat der EU oder des europäischen Wirtschaftsraums (EWR) nachgeht, kann der Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers nicht im Voraus ausgeschlossen werden. Mit dieser aktuellen Entscheidung (Bundesgerichtshof, Urteil v. 25.02.2016 – Az. VII ZR 102/15) löste der Bundesgerichtshof diese bislang im Vertriebsrecht heftig diskutierte Streitfrage.
Für den deutschen Exporteur bedeutet das Urteil, dass er bei der Gestaltung von Vertragshändlerverträgen mit einem Vertragspartner aus der EU oder dem EWR (EU- Staaten zzgl. Liechtenstein, Island und Norwegen) sorgfältig prüfen sollte, ob sich durch die Vereinbarung eines anderen als des deutschen Rechts ein Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers vermeiden lässt. Auf diese Möglichkeit wies der BGH in seinem Urteil ausdrücklich hin. Umgekehrt kann es sich für den ausländischen Vertragshändler durchaus lohnen, auf die Vereinbarung des deutschen Rechts hinzuwirken.
Hintergrund:
Das zivile Recht der Vertragshändler ist weder in Deutschland noch in Europa gesetzlich geregelt. Um diese Lücke zu füllen, entwickelte die deutsche Rechtsprechung in den letzten Jahrzehnten ein Richterrecht in Analogie zum stark europarechtlich geprägten Handelsvertreterrecht (vgl. §§ 84 ff. HGB). Der nicht im Voraus abdingbare (zwingende) Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers gegen den Lieferanten bzw. Hersteller bei Vertragsende – hergeleitet aus einer entsprechenden Anwendung der an sich handelsvertreterspezifischen Anspruchsgrundlage des § 89b HGB – stellt einen wesentlichen Bestandteil dieses Richterrechts dar. Die entsprechende Anwendung des § 89b HGB setzt nach ständiger Rechtsprechung des BGH die folgenden „Analogievoraussetzungen“ voraus:
- Auf den Vertrag ist deutsches Recht anwendbar.
- Der Vertragshändler ist aufgrund besonderer vertraglicher Abmachungen so in die Absatzorganisation des Herstellers eingegliedert, dass er wirtschaftlich in weitem Umfang Aufgaben zu erfüllen hat, die sonst einem Handelsvertreter zukommen;
- Des Weiteren muss der Vertragshändler verpflichtet sein, dem Hersteller seinen Kundenstamm zu übertragen, sodass sich dieser bei Vertragsende die Vorteile des Kundenstamms sofort und ohne weiteres nutzbar machen kann (vgl. zuletzt: BGH, Urteil v. 05.02.2015 - VII ZR 315/13).
Das Zusammenspiel dieser „Analogievoraussetzungen“ führt zu unterschiedlichen rechtlichen Auswirkungen – je nachdem, in welchem Gebiet der Vertragshändler seine Vertriebstätigkeit ausübt. Insofern ist zwischen drei Sachverhaltskonstellationen zu differenzieren:
- Wenn der Vertragshändler innerhalb der Bundesrepublik tätig ist, kann der Ausgleichsanspruch nicht im Voraus ausgeschlossen werden - der Hersteller muss zahlen, wenn er den Vertrag ordentlich kündigt (vgl. § 89b Abs. 1 und Abs. 4 HGB analog).
- Abweichendes gilt für den Vertragshändler, der seiner Vertriebstätigkeit außerhalb des EWR für den Hersteller nachgeht. Hier kann der Ausgleichsanschluss problemlos vertraglich ausgeschlossen werden (vgl. § 92c HGB analog).
- Streitig war bislang, ob der Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers wirksam ausgeschlossen werden kann, wenn der Vertragshändler zwar außerhalb der Bundesrepublik Deutschland, aber innerhalb des EWR tätig ist.
Dies hat der BGH nun mit der vorliegenden Entscheidung verneint und damit den Streit für die Praxis entschieden.
Entscheidung:
In dem vom BGH entschiedenen Fall bediente sich der in Deutschland ansässige Hersteller eines in Schweden ansässigen Vertragshändlers, dessen Vertragsgebiete sich sowohl auf einige EU-Staaten, als auch auf den EWR-Staat Norwegen erstreckte. Die o. b. „Analogievoraussetzungen“ lagen vor. In dem zugrundeliegenden Vertriebsvertrag hatten die Parteien den Ausgleichsanspruch nach deutschem Recht im Voraus ausgeschlossen.
Diesen Ausschluss hält der BGH für unwirksam. Die Urteilsbegründung stützt der BGH vorrangig auf die Intention des deutschen Gesetzgebers, Handelsvertreter und Vertragshändler auch im EWR-Ausland ausgleichsrechtlich gleich zu behandeln. Der Gesetzgeber habe sich in Bezug auf § 92c Abs. 1 HGB – wonach das zwingende Ausschlussverbot in Bezug auf den Ausgleichsanspruch bei Handelsvertreters nur außerhalb des EWR möglich ist – nicht speziell auf Handelsvertreterverhältnisse beschränken wollen. Die entsprechende Anwendung von § 92c Abs. 1 HGB auf das Vertragshändlerrecht führe dazu, dass auch der Ausgleichsanspruch für Vertragshändler nur wirksam ausgeschlossen werden könne, wenn diese außerhalb des EWR tätig sind. Im Umkehrschluss kann der Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers nicht wirksam im Voraus für einen außerhalb von Deutschland, aber innerhalb der EU oder des EWR tätigen Vertragshändler ausgeschlossen werden kann.
Kritik:
Die Begründung des BGH stößt auf nachvollziehbare Kritik. So habe der BGH insbesondere den Normzweck des § 92c Abs. 1 HGB außer Acht gelassen – dieser bezwecke den Schutz der deutschen Exportwirtschaft und nicht den Schutz der Auslandsvertreter. Die deutsche Exportwirtschaft laufe nun Gefahr, durch die Anwendung der zwingenden deutschen Rechtsvorschriften einen Wettbewerbsnachteil zu erfahren. Deutsche Exporteure können bei Unabdingbarkeit des § 89b HGB einen Wettbewerbsnachteil auf den Märkten erfahren, welche dem Vertragshändler keinen Ausgleichsanspruch gewähren würden (z. B. Italien).
Das Urteil kann die Parteien daher durchaus ins ausländische Recht treiben. Denn für den Exporteur bietet sich nun an (gemäß Art. 3 Rom I-VO) für den Händlervertrag ganz oder teilweise eine ausländische Rechtswahl zu treffen, welche einen zwingenden Ausgleichsanspruch für Vertragshändler nicht kennt. Das spanische Recht eignet sich dafür übrigens nicht. Es kennt den Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters bzw. Vertragshändlers unter ähnlichen – allerdings vor der Rechtsprechung nicht abschließend geklärten – Voraussetzungen wie das deutsche Recht (vgl. Artikel 28, 29 des Ley sobre Contrato de Agencia).
Der Initiative zur Stärkung bzw. Attraktivität des Rechtsstandortes Deutschland „Law made in Germany“ (www.lawmadeingermany.de), die u. a. vom Deutschen Anwaltverein und der Bundesnotarkammer unterstützt wird, dürfte das Urteil des BGH nicht Recht sein.
Positiv festzustellen bleibt, dass nun immerhin Rechtssicherheit geschaffen wurde. Bei Bestandsverträgen besteht nun Gewissheit, dass sich ein Streit um den Ausgleichsanspruch zumindest dem Grunde nach für den Hersteller nicht lohnt.