HOAI: Mindest- und Höchstsätze nicht europarechtskonform

HOAI: Mindest- und Höchstsätze nicht europarechtskonform

Mit seiner Entscheidung vom 04.07.2019 hat der EuGH (Rechtssache C-377/17) das Preiskontrollrecht der HOAI als nicht europarechtskonform beurteilt, soweit für die Vergütung von Planungsleistungen Mindestsätze und Höchstsätze gesetzlich zwingend vorgeschrieben sind. Diese Entscheidung kommt nicht unerwartet und beendet eine mehrjährige Unsicherheit. Der Federstrich des EuGHs lässt HOAI-Bibliotheken veralten.

Es wird demnächst viele Stimmen geben, welche rückblickend feststellen, das sei völlig klar, die HOAI habe schon immer Grundfreiheiten verletzt und sei unwirksam, etwas anderes sei nicht vertretbar gewesen. So eindeutig war und ist es nicht - wir verweisen auf den argumentstarken Aufsatz von Motzke, Gerd: „Die HOAI im Klammergriff der EU“ (2016), welcher frühzeitig das dem Urteil zugrunde liegende Vertragsverletzungsverfahren europarechtlich würdigte und die Vereinbarkeit der HOAI (2013) mit den europarechtlichen Grundfreiheiten herleitete. Die tragenden Entscheidungsgründe des EuGHs (Rz. 56 ff.) wirken demgegenüber etwas sparsam:

• Das Mindestsatzkonzept der HOAI verletze Grundfreiheiten, weil die Zielsetzung der Qualitätssicherung für Planungsleistungen durch Preisrecht nicht „kohärent und systematisch“ umgesetzt sei. Planungsleistungen seien in Deutschland nicht Personen vorbehalten, welche einer reglementierten Tätigkeit nachgingen und seien nicht bestimmten Berufsständen vorbehalten, die einer zwingenden Berufs- oder kammerrechtlichen Aufsicht unterliegen, sondern es dürften auch andere nicht reglementierte Dienstleister Planungsleistungen anbieten (Rz. 90 ff.). Das widerspreche dem Qualitätsgedanken;

• das Höchstsatzkonzept der HOAI verletze Grundfreiheiten, weil die Zielsetzung des Verbraucherschutzes nicht in verhältnismäßiger Weise umgesetzt sei. Statt einer zwingenden preisrechtlichen Regelung käme auch die weniger einschneidende Maßnahme von „Preisorientierungen“ in Betracht. Der Kommission und dem EuGH scheinen Preisempfehlungen z. B. im Sinne der erweiterten Honorartabellen (RiFT-Tabellen) vorzuschweben, welche die Vertragspraxis der öffentlichen Hand für Planungsaufgaben entwickelte, bei denen die anrechenbaren Kosten außerhalb der Anwendungsspektren der HOAI liegen. Gesetzlich zwingende Höchstsätze hält der EuGH für nicht erforderlich, weil ein milderes Mittel denkbar sei, diese seien deswegen unverhältnismäßig und verletzten Grundfreiheiten (Rz. 93 ff.).

Es gibt nach dieser Entscheidung des EuGHs guten Grund, bei zukünftig zu verhandelnden Planerverträgen nicht mehr auf das Preiskontrollrecht der HOAI 2013 als ohne weiteres gesetzlich anzuwendendes Recht zu bauen. Es wird freilich auch zukünftig möglich sein, bei Planerverträgen die HOAI 2013 und die erweiterten Honorartabellen als vertragliches Regelsystem zur Bestimmung der Gegenleistung „Vergütung“ einzubeziehen.

Wie ist mit Bestandsverträgen umzugehen, welche noch nicht abgerechnet und bezahlt sind? Dazu einige vorläufige Anmerkungen/Thesen:

1. Fehlt eine wirksame Honorarvereinbarung und fehlt ein wirksames gesetzliches Preisrecht, dann ist nach den allgemeinen werkvertraglichen Regeln die übliche Vergütung geschuldet, § 632 Abs. 2 BGB. Die übliche Vergütung ist die Vergütung, die zur Zeit des Vertragsschlusses für nach Art, Güte und Umfang gleiche Leistungen nach allgemeiner Auffassung der beteiligten Kreise am Ort der Werkleistung gewährt zu werden pflegt (Sprau/Palandt, § 632 BGB, Rand Ziffer 15). Es gibt gute Gründe, über dies Verständnis von einer üblichen Vergütung zur Anwendung der HOAI 2013 (oder früherer Versionen) auf Bestandsverträge zu kommen.

2. Ist die HOAI 2013 (oder eine frühere Fassung) als Vertragsgrundlage benannt, gilt die HOAI als privatautonom vertraglich vereinbartes Regelwerk bei Bestandsverträgen. Die von SüchtingPartner in den letzten Jahren entwickelten Vertragsmuster und Einzelverträge enthalten regelmäßig diese Klausel, um dem „EuGH-Risiko“ eine rechtssichere Regelung entgegenzuhalten. Demgegenüber binden die Vertragsmuster der öffentlichen Hand (z. B. RBBau; ABau d. Ld. Berlin; VHB Bayern) die HOAI nicht vertraglich ein. Eine entsprechende Klausel fehlt in den Hauptverträgen und in den AVB. Möglicherweise ergeben sich durch (ergänzende) Vertragsauslegungen der Rechtsprechung andere vertragliche Aspekte. Für diese Verträge dürfte jedenfalls oben Ziffer 1 gelten (übliche Vergütung, § 632 Abs. 2 BGB, daraus folgend Anwendung der HOAI).

3. Bei stufenweiser Beauftragung wird zu unterscheiden sein. Bei bereits beauftragten Auftragsstufen gelten oben Ziffer 1 und 2. Bei den weiteren und noch nicht beauftragten Auftragsstufen kommt der Vertrag über die weiteren Stufen erst zustande, wenn der Auftraggeber durch einseitige Erklärung sein Beauftragungsrecht ausübt. Bekanntlich wendet der Bundesgerichtshof bei noch nicht beauftragten Stufen das Honorarrecht an, welches zum Zeitpunkt der Beauftragung der höheren Stufe, also bei Ausübung des Beauftragungsrechts durch den Auftraggeber gilt (Rechtsprechung zu § 57 HOAI 2013). Fehlt eine Honorarvereinbarung für die höheren Auftragsstufen und fehlt zukünftig ein gesetzlich verbindliches HOAI-Honorar, dann können die Vertragsparteien die Vergütung in den höheren Auftragsstufen frei vereinbaren. Eine Einigungsverpflichtung zwischen den Vertragsparteien wird voraussichtlich nur in Ausnahmefällen anzunehmen sein. Einigen die Vertragsparteien sich nicht, dann wäre das Schicksal des Beauftragungsrechts des Auftraggebers ungewiss und es gibt Grund zu der Annahme, dass dies nicht nur in Ausnahmefällen wegfallen könnte. Bliebe –hypothetisch- das Beauftragungsrecht trotz fehlender Einigung über die Gegenleistung in den höheren Stufen bestehen, dann wäre zur Berechnung der Vergütung der Weg über die „übliche Vergütung“ im Sinne des § 632 Abs. 2 BGB eröffnet. Was allerdings dabei herauskommt, wenn die Preisvorgaben der HOAI nicht gelten, steht in den Sternen.

4. Für Vergütungsanpassungen im Fall von Anordnungen nach § 650b Abs. 2 BGB im Architektenvertrag/Ingenieurvertrag verweist § 650q BGB auf die Entgeltberechnungsregeln der HOAI in der jeweils geltenden Fassung (dynamische Verweisung). Diese gesetzliche Verweisung wird zukünftig ins Leere zielen, weil diese Entgeltberechnungsregeln nicht mehr gelten - jedenfalls solange, bis der Gesetzgeber einen Ersatz für die HOAI aktueller Fassung gefunden hat. Für Vergütungsanpassungen wird deswegen zukünftig vorläufig § 650c BGB entsprechend heranzuziehen sein, § 650q Abs. 2 Satz 3 BGB.

Für die Abrechnung von Bestandsverträgen wird das vom EuGH kassierte gesetzliche Preisrecht weiterhin voraussichtlich über die „übliche Vergütung“ relevant bleiben.

Der zukünftige Leistungsaustausch zwischen Auftraggeber und Architekten/Ingenieuren ist durch die Entscheidung des EuGHs vom 04.07.2019 vorläufig und bis zur Neuregelung durch den Gesetzgeber von einigen preisrechtlichen Fesseln befreit. Neue Vergütungsmodelle können entwickelt werden (Zeithonorar; Pauschalvergütung; Einzelpreismodelle; erfolgsbezogene Vergütung; Preisgleitklauseln, Höchstpreisklauseln, Mischformen - nicht abschließend, der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt) und werden die zukünftige Vertragspraxis vor neue Herausforderungen stellen.