Die Zukunft der HOAI, II. Teil

Die Zukunft der HOAI, II. Teil

Die Zukunft der HOAI, 2. Teil

 

Was bringt die neue HOAI? Ab dem 01.01.2021 wird die „HOAI 2021“ die HOAI 2013 ablösen. Bekanntlich ist die aktuell gültige Fassung der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure europarechtlich unter die Räder gekommen (EuGH-Urteil vom 04.07.2019) und der Gesetzgeber ist gefordert, mit einer europarechtskonformen Neufassung zu reagieren. Das Gesetzgebungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen, die Referentenentwürfe des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi) liegen jedoch vor und es ist zu erwarten, dass diese weitgehend unverändert das Gesetzgebungsverfahren überstehen.

 

Was bleibt?

 

Der vorgelegte Referentenentwurf ist evolutionär, nicht revolutionär. Die HOAI 2021 wird ebenfalls nur „Preisrecht“ enthalten. Dies bedeutet, dass in der HOAI weiterhin nicht der Rechtsgrund der Vergütung geregelt, sondern ausschließlich die Höhe der Vergütung bestimmt wird. Ob eine Vergütung dem Grunde nach geschuldet ist, ist unter einer zukünftigen HOAI 2021 ebenfalls nach allgemeinem Vertragsrecht zu beurteilen. Auch im Übrigen muss man die HOAI 2021 nicht völlig neu lernen: die Grundstruktur (1. Teil: Allgemeine Vorschriften; 2. Teil und die fortlaufenden Teile: Leistungsbilder; sodann im Anhang: auf die Leistungsbilder bezogener Beschreibung von Leistungsphasen, Grundleistungen und Besonderen Leistungen in den Anlagen 1-15) bleibt erhalten. Das System der Honorarermittlung nach den hergebrachten Honorargrundlagen (anrechenbare Kosten, Honorarzone, lineare Interpolation, Zuschläge, Abschläge) wird fortgeführt. Auch der Anwendungsbereich der HOAI im Bereich der anrechenbaren Kosten zwischen € 25.000,00 bis € 25.000.000,00 (§ 35 Abs. 1 HOAI 2021, Leistungsbild: Gebäudeplanung), bleibt gleich - die Gelegenheit, auf gestiegene Baukosten zu reagieren und den Anwendungsbereich der HOAI nach oben zu erweitern, blieb ungenutzt. Man wird auch zukünftig bei höheren Baukosten auf die in der Privatwirtschaft nicht verbindlichen Fortschreibungstabellen (RifT) zurückgreifen müssen.

 

Was soll die HOAI 2021 leisten? „Kern der aktuellen Novellierung ist die baufachliche Überarbeitung der Leistungsbilder und die Aktualisierung der Honorartafelwerte. Die in der HOAI festgelegten Leistungsbilder sind überwiegend am Stand der Technik der Planungsprozesse und Büroabläufe der 80-er Jahre des letzten Jahrhunderts ausgerichtet. Der Wandel der Berufsbilder und die fachlichen sowie rechtlichen Entwicklungen machen es erforderlich, die Leistungsbilder in den einzelnen Disziplinen anzupassen. Die Planungsprozesse und Büroabläufe der HOAI 1976 waren durch Zeichnungen mit der Hand am Reißbrett, Berechnungen mit Rechenschieber, Leistungsbeschreibungen per Schreibmaschine, Kommunikation mittels Brief und Telefon gekennzeichnet. Die Planungswirklichkeit fast 40 Jahre später zeichnet sich hingegen durch den Einsatz des PC zu Beschreibungen und Berechnungen des Planungsprozesses, CAD (computer-aided-design), E-Mail, Telefon, EU-weite Ausschreibungen und Vergaben über elektronische Plattformen aus. Auch haben sich die Anforderungen an die Planungsaufgaben gewandelt: Aspekte der Nachhaltigkeit, des Klima- und Umweltschutzes haben eine hohe Bedeutung gewonnen. Zudem sind die Ansprüche an Kosten- und Terminsicherheit stark gestiegen. Und die Administration der Planungsprojekte durch Architekten und Ingenieure muss deutlich höheren Haftungsansprüchen standhalten.“ (Referentenentwurf des BMWi, S.1). Dies im Referentenentwurf beschriebene Anforderungsprofil dürfte freilich eher die Planungswirklichkeit der Neunzigerjahre des letzten Jahrhunderts und des Anfangs des neuen Jahrtausends beschreiben, erreicht jedenfalls nicht ganz den aktuellen Stand. Die Planungstechnologie BIM kommt in dieser Zielsetzung nicht vor, die besonderen städtebaulichen Anforderungen der Transformation zu menschengerechten Städten, die erheblich höher gewichtete Gebäudetechnik (TGA, „smart building“) und der beginnende Einsatz künstlicher Intelligenz bei Planung und Bauausführung bleiben unerwähnt.

 

Auffallend ist, dass in den Katalogen für die Grundleistungen und Besonderen Leistungen in den Leistungsbildern Gebäudeplanung, Tragwerksplanung und Technische Gebäudeausrüstung die „3-D oder 4-D Gebäudemodellbearbeitung (Building Information Modelling BIM)“ nur wie bisher in der HOAI 2013 in der Leistungsphase 2 knapp mit einem Spiegelstrich erwähnt wird. Gerade hier hat die Rechtswissenschaft und Vertragspraxis seit Inkrafttreten der HOAI 2013 einiges geleistet, welches in einer in die Zukunft gerichteten Vergütungsordnung berücksichtigt gehört. Zu erwähnen sind die vorzüglichen Anregungen, welche die Bundesarchitektenkammer und der Ausschuss der Verbände und Kammern der Ingenieure und Architekten für die Honorarordnung (AHO) e. V. im Einzelnen für die Beschreibung von Grundleistungen und Besonderen Leistungen ausformulierten. Dazu jedoch in der HOAI 2021 kein Wort, welches über die HOAI 2013 hinausginge - als sei seit 2013 nichts passiert.

 

Was ist neu?

 

Das Gebot der HOAI 2013, innerhalb des Anwendungsbereichs der Vergütungsordnung ein Honorar nur innerhalb der Mindestsätze und Höchstsätze zu vereinbaren, entfällt zukünftig. Unter der Geltung der HOAI 2021 bilden die Tabellenwerte nur noch einen -abdingbaren!- Orientierungsrahmen für Vergütungsvereinbarungen, geben jedoch keine verbindlichen Leitlinien vor, innerhalb nur derer ein Planerhonorar wirksam vereinbart werden kann. Dieser Orientierungsrahmen ist nur dann verbindlich, wenn Bauherr und Planer keine anderen Vereinbarungen getroffen haben. Das ist die aufregendste Neuerung - § 7 Abs. 1 HOAI 2021 wird lauten:

 

Das Honorar richtet sich nach der Vereinbarung, die die Vertragsparteien in Textform treffen. Sofern keine Vereinbarung über die Höhe der Vergütung in Textform getroffen wurde, gilt der Basishonorarsatz als vereinbart, der sich bei der Anwendung der Honorargrundlagen des § 6 ergibt.“

 

Die HOAI 2013 setzte für eine wirksame Honorarvereinbarung (1.) die Schriftform und (2.) den Abschluss bei Auftragserteilung voraus. Diese beiden Wirksamkeitsbedingungen ernährten in den letzten Jahren Heerscharen von Baurechtsanwälten und füllten die Bücherregale mit Rechtsprechung dazu. Zukünftig wird der Abschluss einer wirksamen Honorarvereinbarung erheblich vereinfacht. Erforderlich ist nur noch die Textform, d.h. der Austausch von E-Mails reicht hin. Außerdem kann die vom Basishonorarsatz abweichende Vergütungsvereinbarung jederzeit wirksam getroffen werden, d.h. vor der eigentlichen Auftragserteilung, bei der Auftragserteilung, später während der Erfüllungsphase des Planervertrags und sogar noch nach der Abnahme der Planungsleistungen. Damit entfällt ein weites Feld anwaltlicher Beratungsleistungen - gut für die einen, schlecht für die rechtsberatenden Berufe. Weiterhin ist allerdings die nur mündliche Verabredung eines vom Basishonorarsatz abweichenden Honorars unwirksam.

 

Die in Formfragen großzügigere HOAI 2021 kommt mit den gelockerten Formerfordernissen der geübten, allerdings bisher riskanten (weil nicht immer bis in die letzten Verästelungen der obergerichtlichen Rechtsfindung beratenen) Vertragspraxis entgegen - das ist zu begrüßen. Dieselbe Erleichterung einer wirksamen Vereinbarung nur in Textform gilt für die Verabredung von Zuschlägen für Umbauten und Modernisierungen (§ 36 Absatz 2 HOAI 2021) und für vertragliche Regelungen zu den Nebenkosten (§ 14 Abs. 1 HOAI 2021) - das ist richtig.

 

Wird die HOAI 2021 ihrer Funktion eines verlässlichen Preismaßstabs für Auftraggeber und Planungsbüros gerecht?

 

Mit einer wohlwollenden Antwort könnte man dies bejahen. Eine Verschlechterung geht mit der Novellierung nicht einher. Wie mit früheren Fassungen der Vergütungsordnung ist es möglich, die variantenreiche Welt der Planungsleistungen zu bewältigen und für fast alle Anwendungsfälle eine Gegenleistung in Euro und Cent zu beziffern. Immer vorausgesetzt: die HOAI ist anwendbar. Außerhalb des Anwendungsbereichs der HOAI 2021 bleibt es dabei, dass kein verlässlicher Orientierungsrahmen gegeben wird, dort kann frei vereinbart werden. Auch innerhalb des Anwendungsbereichs gibt es leider immer noch wirtschaftlich relevante Anwendungsfälle, welche die Praxis häufig kontrovers beschäftigen, in denen die HOAI 2021 ihre Funktion als Orientierungsrahmen jedoch nur eingeschränkt erfüllen wird.

 

Zwei Beispiele:

 

(1.) Erkennbar ist die HOAI 2021 tendenziell am Leitbild des Neubaus ausgerichtet. Der weit überwiegende Teil der Planungsleistungen und Bauleistungen in Deutschland wird jedoch als „Bauen im Bestand“ erbracht. Die normativen Vorgaben für die Ermittlung der anrechenbaren Kosten beim Bauen im Bestand, im engeren: die anrechenbaren Kosten der mitzuverarbeitenden Bausubstanz, sind in der HOAI 2013 fragmentarisch und werden auch in der HOAI 2021 nicht weiter ausgearbeitet: „Der Umfang der mitzuverarbeitenden Bausubstanz im Sinne des § 2 Abs. 7 ist bei den anrechenbaren Kosten angemessen zu berücksichtigen. Umfang und Wert der mitzuverarbeitenden Bausubstanz sind zum Zeitpunkt der Kostenberechnung oder, soweit diese nicht vorliegt, der Kostenschätzung objektbezogen zu ermitteln und schriftlich zu vereinbaren.“, § 4 Abs. 3 HOAI 2021. Es wäre eine sinnvolle Handreichung des Gesetzgebers gewesen, zukünftigen Vertragsparteien klarer mitzugeben,

 

  • welche vorhandene Bausubstanz zu berücksichtigen ist, ab wann die Bausubstanz also als „mitverarbeitet“ gilt,
  • wie diese vorhandene Bausubstanz zu bewerten ist (Zeitwert? Neuwert? Herstellungswert? Bewertungsmethode?),
  • und zu welchem Anteil des Werts die vorhandene Bausubstanz den anrechenbaren Kosten zuzuschlagen ist.

 

Es ist ferner nicht nachvollziehbar, warum die Vereinbarung über die „mitzuverarbeitende Bausubstanz“ nur schriftlich möglich sein soll, wenn doch die etwas lockerere Textform ohne weiteres genügen könnte. Wenige Federstriche des Gesetzgebers hätten geholfen, wirtschaftlich außerordentlich relevante und häufig auftauchende Fragestellungen der Vertragspraxis zum „Bauen im Bestand“ zu beantworten.

 

(2.) Wird keine Vergütungsvereinbarung getroffen und werden nicht alle Grundleistungen in einer Leistungsphase vereinbart, dann ergibt sich auch aus der HOAI 2021 keine verlässliche Indikation für das geschuldete Honorar. Es bleibt bei der etwas lapidaren Regel des § 8 Abs. 2 HOAI 2021: „Werden nicht alle Grundleistungen einer Leistungsphase übertragen, so darf für die übertragenen Grundleistungen nur ein Honorar berechnet und vereinbart werden, dass dem Anteil der übertragenen Leistungen an der gesamten Leistungsphase entspricht.“ Der Wortlaut wird unverändert aus der HOAI 2013 übernommen. Auch hier wäre es eine Hilfe für insbesondere honorarrechtlich unerfahrene Vertragsparteien (Verbraucher) gewesen, in den Grundleistungskatalogen der Anlagen 1-15 für jede Grundleistung Bewertungsspannen in Prozent anzugeben. Das erklärte Ziel der HOAI 2021, für die zukünftigen Planerhonorare einen sicheren Orientierungsrahmen zu geben, wäre damit noch besser erfüllt.

 

Die rechtsberatenden Berufe, welche auf Auftraggeber- und Auftragnehmerseite die vom Gesetzgeber (bewusst?) offengelassenen Beratungsfelder weiterhin beackern dürfen, werden gegen den gebremsten Reformeifer des Verordnungsgebers insofern nichts einzuwenden haben. Auch ansonsten muss der Ansatz, welcher mit der HOAI 2021 verfolgt wird, auf breite Zustimmung treffen. Einige wenige Normen wurden verändert, dies auch grundlegend. Aber die neue Vergütungsordnung insgesamt macht einen vertrauten, terminologisch bekannten und somit traditionell-gewachsenen Eindruck. Die bisherige Rechtsprechung und Literatur zum Vergütungsrecht wird weit überwiegend bruchfrei fortgeführt werden können. Dies ist für die Rechtssicherheit auf beiden Seiten des Planervertrags nicht zu unterschätzen. Mit den Änderungen in der Neufassung der Vergütungsordnung wird auf die europarechtlichen Vorgaben angemessen reagiert und es ist zu erwarten, dass die Vertrags- und Beratungspraxis, die Rechtsprechung und die Literatur diese Neuerungen dogmatisch schnell und praxisorientiert in den Griff bekommen.