Die Zukunft der HOAI

Die Zukunft der HOAI

Am 04.07.2019 entschied der Europäische Gerichtshof, dass die verbindlichen Mindest- und Höchstsätze in der HOAI 2013 gegen die Dienstleistungsfreiheit im europäischen Binnenmarkt verstoßen. Seitdem ist die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, das nationale Preisrecht der HOAI 2013 europarechtskonform auszugestalten. Dieser Verpflichtung kommt die Bundesrepublik Deutschland nach. Die erforderlichen Gesetzgebungsverfahren sind angestoßen.

 

Obwohl die Diskussion innerhalb der Gesetzgebungsorgane erst beginnt, sind die folgenden gesetzlichen Entwicklungen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erwartbar:

 

 

  • Auch zukünftig wird es eine Honorarordnung für Architekten und Ingenieure geben;
  • die zwingende Festlegung von Mindestsätzen und Höchstsätzen, innerhalb derer sich das Honorar von Architekten und Ingenieuren im Anwendungsbereich der Honorarordnung bewegen darf, wird der Vergangenheit angehören;
  • das Honorar wird frei vereinbar sein.

 

 

1.         Aktueller Verfahrensstand

 

 

Am 05.06.2020 wurde aus dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie ein Referentenentwurf an zu beteiligende Fachkreise und Verbände zur Stellungnahme verschickt. In einem 1. Schritt des Gesetzgebers soll die Ermächtigungsgrundlage zum Erlass einer Honorarordnung für Ingenieur- und Architektenleistungen geändert werden. In einem 2. Schritt ist die Honorarordnung selbst nach den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs zu bearbeiten. Mit dem Referentenentwurf aus Juni 2020 liegt ein Vorschlag nur für den 1. Schritt, also für die Änderung der Ermächtigungsgrundlage vor.

 

Ein Referentenentwurf ist im Gesetzgebungsverfahren die Vorstufe zu einem Regierungsentwurf und wird regelmäßig durch ein Bundesministerium auf Referatsebene erarbeitet. Bis ein Referentenentwurf der Bundesregierung zur Beratung und Beschlussfassung vorgelegt wird (Kabinettsvorlage), sind mit Verbänden, Fachkreisen und anderen Ministerien erarbeitete Abstimmungsergebnisse zu berücksichtigen. Der vorliegende Referentenentwurf eines „Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Regelung von Ingenieur- und Architektenleistungen“ ist somit nur sehr vorläufig. Gleichwohl deutet sich eine grobe Richtung an, wie die HOAI der Zukunft aussehen könnte. In der geänderten Ermächtigungsgrundlage für den Erlass der neuen HOAI werden die normativen Eckpfeiler und die Grundstrukturen des neuen Preisrechts festgelegt.

 

 

2.         Vorschlag: Keine Mindestsätze, keine Höchstsätze

 

 

a)      Die aktuelle Rechtslage

 

 

Im Gesetz zur Regelung von Ingenieur- und Architektenleistungen in der aktuell geltenden Fassung ist vom Gesetzgeber als zentraler Inhalt und herausgehoben angeordnet, dass in der Honorarordnung Mindest- und Höchstsätze festzusetzen sind. Nur in Ausnahmefällen soll durch schriftliche Vereinbarung ein Mindestsatz unterschritten werden können, und nur bei außergewöhnlichen oder ungewöhnlich lange dauernden Leistungen dürfen die Höchstsätze überschritten werden. Die Mindestsätze gelten als vereinbart, wenn im Planervertrag nicht etwas anderes wirksam schriftlich vereinbart wurde. Mit diesen gesetzlichen Preisanordnungen im Anwendungsbereich der HOAI leben die Architekten und Ingenieure, die Bauwirtschaft und die vergebende öffentliche Hand seit vielen Jahren. Diese gesetzlichen Preisanordnungen sind seit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 04.07.2019 jedoch obsolet.

 

 

b)      Der Änderungsvorschlag

 

 

In der novellierten Ermächtigungsgrundlage zum Erlass einer geänderten HOAI ist von dieser gesetzlichen Vorgabe, Mindest- und Höchstsätze festzusetzen, keine Rede mehr. Zukünftig soll das Honorar der Architekten und Ingenieure frei vereinbart werden können.

 

Mit der im Referentenentwurf vorgeschlagenen Ermächtigungsgrundlage werden nur noch das inhaltliche Regelungsprogramm der HOAI, die Grundlagen und Maßstäbe vorgegeben, an denen sich die Berechnung der Honorare für die in der Verordnung erfassten Tätigkeiten orientieren kann. Wörtlich § 1 Abs. 1 (neu) Referentenentwurf:

 

Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates ein Honorarordnung für Leistungen der Architekten und Ingenieure zu erlassen und folgendes zu regeln:

 

1.         Die Grundlagen und Maßstäbe zur Berechnung von Honoraren,

2.         Honorartafeln zur Honorarorientierung für Grundleistungen, auch in Abgrenzung zu Besonderen Leistungen,

3.         eine Regelung zur Höhe der Honorare für Grundleistungen für den Fall, dass keine Honorarvereinbarung getroffen wurde,

4.         die bei der Honorarvereinbarung einzuhaltende Form und zu beachtende Hinweispflichten,

5.         die Fälligkeit der Honorare.“

 

Dabei bewegt sich der Referentenentwurf ausdrücklich innerhalb der hergebrachten Berechnungsmethoden und Honorargrundlagen für die Ermittlung des Planerhonorars. Für die Neugestaltung der HOAI auf der Basis einer auf den Referentenentwurf geänderten Ermächtigungsgrundlage ist deswegen keine wesentliche Abweichung von der bewährten Ordnung nach Leistungsbildern, innerhalb der Leistungsbilder nach Leistungsphasen und Grundleistungen/Besondere Leistungen, und ebenfalls keine Abweichung von der bewährten Honorarermittlung nach Honorartafeln, anrechenbaren Kosten, Zuschlägen und Abschlägen nach der Methode der linearen Interpolation zu erwarten.

 

Bemerkenswert ist die Formulierung, dass die Honorartafeln nunmehr nur noch zur „Honorarorientierung dienen“, aber keinen zwingenden gesetzlichen Preisrahmen mehr vorgeben sollen. Ziel ist die Transparenz der Honorarkalkulation und die Vergleichbarkeit verschiedener Angebote bei gleichen Leistungen. Den Auftraggebern (und insbesondere der öffentlichen Hand) soll in den privaten und öffentlichen Vergabeverfahren und in den Vertragsvereinbarungen ermöglicht werden, auf die Grundlagen der HOAI Bezug zu nehmen. Dies erleichtert bei nationalen und europaweiten Ausschreibungen die Bewertung eingehender Angebote im Kriterium „Preis“.

 

Das nach der HOAI (neu) zu ermittelnde Honorar hätte die Funktion einer gesetzlich unverbindlichen (da von den Vertragsparteien nicht durchsetzbaren) Preisnorm, an welcher verschiedene Honorarangebote zu messen sind, auch wenn diese nach abweichenden Berechnungsmethoden (z. B.: Pauschalhonorare; auf den Zeitaufwand bezogene Honorare) ermittelt wurden. Mit den Honorartafeln in einer neuen HOAI werden Honorarspannen angegeben, welche wirksam unter- oder überschritten werden können, soweit kein vergaberechts- oder wettbewerbswidriges Preisdumping bzw. eine sittenwidrige Preisüberhöhung festzustellen ist.

 

 

2.         Keine Änderung: Preisermittlung bei geänderten oder zusätzlichen Planungsleistungen

 

 

Das aktuell geltende Recht der Preisanpassung bei Änderungsanordnungen des Auftraggebers im Planervertrag wird im Referentenentwurf inhaltlich nicht angetastet oder geändert. Die gesetzliche Anpassungsregelung im § 650 q Abs. 2 BGB soll lediglich verkürzt werden (redaktionelle Änderung).

 

Mit dem (nicht mehr ganz so) neuen Bauvertragsrecht wurde ab dem 01.01.2018 in den §§ 650 p bis 650 t BGB der Architektenvertrag und Ingenieurvertrag im Werkvertragsrecht gesondert ausgestaltet. Erstmals wurde das Recht des Auftraggebers zur Änderung

 

(1.) des vereinbarten Planungserfolgs oder

(2.) der Planungsleistung, welche zur Erreichung des vereinbarten Planungserfolgs notwendig ist,

 

gesetzlich geregelt, § 650 q Abs. 1 in Verbindung mit § 650 b Abs. 1 und 2 BGB.

 

 

a)      Vergütungsanpassung bei Leistungen, welche von der HOAI 2013 erfasst werden

 

 

Für die Vergütungsanpassung nach Änderungsanordnung ist nach der aktuellen Rechtslage die Vereinbarung zwischen Auftraggeber und Architekt/Ingenieur maßgeblich.

 

Falls im Falle einer Änderungsanordnung des Auftraggebers keine Einigung über die Vergütungsanpassung erzielt werden kann, dann ist es dem Planer nach der gesetzlichen Regelung möglich, auf die Entgeltberechnungsregeln der HOAI 2013 zurückzugreifen, soweit die geänderten Leistungen von HOAI 2013 erfasst werden, § 650 q Abs. 2 BGB. Das gesetzlich geregelte „Nachtragswesen“ ist in der HOAI 2013 im Schwerpunkt in § 10 Abs. 1 (geänderter Umfang der beauftragten Leistung) und in § 10 Abs. 2 (Wiederholung von Grundleistungen) zu finden und gibt den Vertragsparteien einen nachvollziehbaren und verlässlichen Rahmen zur Ermittlung des angepassten Honorars. Es ist abzuwarten, ob diese gesetzlichen Nachtragsregeln in eine neue europarechtskonforme HOAI übernommen werden. Möglich wäre dies, denn diese Nachtragsregeln wurden vom Verdikt des Europäischen Gerichtshofs vom 04.07.2019 nicht erfasst.

 

Dies Regelungskonzept wäre nach dem Referentenentwurf grundsätzlich beizubehalten. Eine Frage bleibt indes offen - der Neuformulierung von § 650 q Abs. 2 BGB und der Begründung des Referentenentwurfs ist nicht zu entnehmen, wie verbindlich die Verweisung auf eine neue HOAI für die Vertragsparteien sein wird, wenn in der neuen HOAI keine Mindest- und keine Höchstsätze mehr festgesetzt werden. Bedeutet dann der Verweis auf die Entgeltberechnungsregeln der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure die freie und gesetzlich ungebundene Verhandlung über das angepasste Honorar? Dies ist erkennbar im Referentenentwurf nicht gewollt und müsste klargestellt werden.

 

 

b)      Vergütungsanpassung bei Leistungen, welche von der HOAI 2013 nicht erfasst werden

 

 

Werden die geänderten Leistungen von der HOAI 2013 nicht erfasst, dann ist das Honorar frei vereinbar. Können sich die Vertragsparteien nicht einigen, dann ist das neue Honorar nach den tatsächlich erforderlichen Kosten mit angemessenen Zuschlägen für allgemeine Geschäftskosten, Wagnis und Gewinn zu ermitteln, § 650 c Abs. 1 BGB. Die Vertragsparteien schauen also bei der Ermittlung eines angepassten Honorars auf die „tatsächlich erforderlichen Kosten“ (Einzelkosten der Planungsleistung, wie zum Beispiel Personal, Subplanerleistungen und Nebenkosten der Planungsleistung) und die angemessenen Zuschläge, wenn es um die Ermittlung der angepassten Vergütung geht.

 

Auch dies Konzept wird im Referentenentwurf nicht geändert. Im § 650 q Abs. 2 Satz 2 (neu) BGB wird bei der Neuformulierung jedoch einfacher und klarer auf die Kalkulationsregel des § 650 c BGB verwiesen.

 

 

Es ist in diesem frühen Verfahrensstadium naturgemäß nicht zu erwarten, dass der Referentenentwurf mit dem Bearbeitungsstand 20.05.2020 unverändert von der Bundesregierung in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht wird. Dabei steht der Referentenentwurf nicht insgesamt zur Disposition. Die im Referentenentwurf verfolgte Leitlinie für eine neue HOAI ist vom Europäischen Gerichtshof vorgeprägt und wird vom nationalen Gesetzgeber nicht geändert werden können. Sicher ist, dass es in einer neuen HOAI keine Mindestsätze und keine Höchstsätze mehr geben wird. Aus den ansonsten sehr vorsichtigen Änderungsvorschlägen, welche sich im Referentenentwurf auf die Ermächtigungsgrundlage zum Erlass einer neuen HOAI beziehen, lässt sich entnehmen, dass bei der neuen HOAI die hergebrachten Berechnungsmethoden und die hergebrachten Honorargrundlagen voraussichtlich nicht oder nur sehr vorsichtig geändert werden. Das Preisrecht wird also nicht völlig neu erfunden, auch wenn die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 04.07.2019 die Rechtsprechung und Literatur zum Thema Mindest- und Höchstsätze in Altpapier verwandelte.