Mängelrechte aus § 634 BGB vor Abnahme der Werkleistung ? (nach BGH, Urteile vom 19.01.2017 - Az. VII ZR 235/15 und VII ZR 193/15)

Mängelrechte aus § 634 BGB vor Abnahme der Werkleistung ? (nach BGH, Urteile vom 19.01.2017 - Az. VII ZR 235/15 und VII ZR 193/15)

In zwei viel beachteten Entscheidungen vom 19.01.2017 beschäftigte sich der Bundesgerichtshof mit der Frage, ob ein Besteller gegenüber einem Unternehmer Mängelrechte aus § 634 BGB bereits vor Abnahme der vereinbarten Bauleistungen geltend machen kann.

1. Dem einen Urteil (Az. VII ZR 235/15) lag der folgende Sachverhalt zugrunde: Ein Unternehmer erbrachte die dem Besteller aus einem Bauvertrag geschuldeten Leistungen und machte Restwerklohn geltend. Der Besteller rügte Mängel, der Unternehmer verweigerte jede weitere Tätigkeit. Der Besteller machte von seinem Minderungsrecht Gebrauch und verlangte widerklagend Schadensersatz. Ob der Besteller die Bauleistungen abgenommen hatte, war zwischen den Parteien streitig.

Der BGH stellte klar, dass der Besteller Mängelrechte nach § 634 BGB grundsätzlich erst dann geltend machen könne, wenn er das Werk des    Unternehmers abgenommen habe. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, dass die Frage, ob ein Werk mangelfrei ist, grundsätzlich im Zeitpunkt der Abnahme zu beurteilen sei. Bis zur Abnahme könne der Unternehmer frei wählen, wie er den Anspruch des Bestellers auf mangelfreie Herstellung aus § 631 Abs. 1 BGB erfülle. Könnte der Besteller bereits während der Herstellungsphase Mängelrechte aus § 634 BGB geltend machen, bedeute dies eines Eingriff in das Wahlrecht des Unternehmers. Zudem differenziere das Gesetz zwischen dem Anspruch auf Herstellung des Werkes (§ 631 Abs. 1 BGB) und dem Nacherfüllungsanspruch (§§ 634 Nr. 1, 635 BGB), diese könnten nicht nebeneinander bestehen. Darüber hinaus sei es auch interessengerecht, die Mängelrechte an die Abnahme zu knüpfen, denn der Besteller sei vor der Abnahme nicht rechtlos gestellt – vielmehr stünden ihm bereits Ansprüche und Rechte aufgrund des allgemeinen Leistungsstörungsrechts zu.

Der BGH arbeitete jedoch eine wichtige Ausnahme heraus, die auch in dem entschiedenen Fall einschlägig war: Der Besteller könne berechtigt sein, Mängelrechte nach § 634 Nr. 2 bis 4 – mithin sämtliche Mängelrechte mit Ausnahme der Nacherfüllung – ohne Abnahme geltend zu machen, wenn er nicht mehr die Erfüllung des Vertrags verlangen könne und das Vertragsverhältnis in ein „Abrechnungsverhältnis“ übergegangen sei. Ein solches Abrechnungsverhältnis liege jedenfalls dann vor, wenn der Unternehmer das Werk als fertiggestellt zur Abnahme anbiete und der Besteller nur noch Schadensersatz statt der Leistung in Form des kleinen Schadensersatzes geltend mache oder die Minderung erkläre.

2. Dem anderen Urteil (Az. VII ZR 193/15) lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Besteller beauftragten den Unternehmer, eine Terrasse zu errichten. Nachdem der Unternehmer die Arbeiten ausgeführt hatte, rügten die Besteller Mängel, drei Nachbesserungsversuche scheiterten. Der Unternehmer stellte die Schlussrechnung und klagte schließlich auf Zahlung des Restwerklohns. Einer der Besteller machte widerklagend einen Kostenvorschuss für die Mängelbeseitigung im Wege der Selbstvornahme geltend, ohne die Werkleistungen des Unternehmers abgenommen zu haben.

Auch hier stellte der BGH zunächst klar, dass der Besteller Mängelrechte nach § 634 BGB grundsätzlich erst nach Abnahme des Werks erfolgreich geltend machen könne. Dies betreffe auch den Anspruch des Bestellers auf Zahlung eines Kostenvorschusses zur Mängelbeseitigung im Wege der Selbstvornahme (§ 634 Nr. 2, § 637 Abs. 1, 3 BGB). Begründung: Das Recht zur Selbstvornahme und der Anspruch auf Kostenvorschuss ließen den Erfüllungsanspruch gemäß § 631 BGB sowie den Nacherfüllungsanspruch gemäß § 634 Nr. 1 BGB unberührt. Der Besteller sei berechtigt, den (Nach-)Erfüllungsanspruch auch dann noch geltend zu machen, wenn er bereits einen Kostenvorschuss verlangt habe. Ein Abrechnungsverhältnis liege hier also nicht vor.

Der Besteller könne einen Anspruch auf Vorschusszahlung aber ausnahmsweise dann ohne Abnahme gelten machen, wenn er endgültig und ernsthaft zum Ausdruck gebracht habe, unter keinen Umständen mehr mit dem Unternehmer zusammenarbeiten zu wollen, er eine Nacherfüllung also selbst für den Fall abgelehnt habe, dass die Selbstvornahme nicht zu einer mangelfreien Herstellung des Werkes führe.

Fazit: Die Entscheidungen sind zu begrüßen, da der BGH erstmals klarstellt, unter welchen Voraussetzungen Besteller bestimmte Mängelrechte bereits vor der Abnahme geltend machen können. Somit bezieht der BGH Stellung zu einer Streitfrage, welche die Rechtsprechung und die Fachliteratur bereits seit Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes im Jahr 2002 beschäftigt. Abgrenzungsschwierigkeiten dürften sich indes weiterhin ergeben, insbesondere hinsichtlich der Frage, wann ein Besteller die Nacherfüllung im Einzelfall endgültig und ernsthaft abgelehnt hat.