Gewerberaummietvertrag, COVID19 und der Wegfall der Geschäftsgrundlage. Wann darf ich die Miete reduzieren?

Gewerberaummietvertrag, COVID19 und der Wegfall der Geschäftsgrundlage. Wann darf ich die Miete reduzieren?

Wer in Berlin über den Kurfürstendamm schlendert, dem ist das Bild seit März 2020 vertraut: geschlossener Einzelhandel, nicht dekorierte Schaufenster, große Namen, verrammelte Türen. Was dem Kunden bleibt, ist Window-Shopping. Die Umsätze der Einzelhändler liegen bei Null und wer kein online-Geschäft unterhält, sitzt auf teuren Mieten ohne Einkommen. Dies betrifft nicht nur kleine Läden und Einzelunternehmer, sondern auch und gerade Einzelhandels- und Modeketten, große Warenhäuser sowie Luxuslabels. Die pandemiebedingten Allgemeinverfügungen der Bundesländer führ(t)en zur fast vollständigen Verlagerung des Einkaufsverhaltens. Alles außer Lebensmittel wird überwiegend in Onlineshops bestellt und außerhalb der teuer bezahlten, indes stillgelegten Ladenflächen an den Kunden geliefert. Ob sich dies Einkaufsverhalten relevant ändert, sobald die Öffnung der Einzelhandelsflächen für den Kundenverkehr wieder möglich wird, steht in den Sternen.

 

Der Gesetzgeber hat 2020 auf die Not des Handels reagiert und eine theoretisch gebliebene Möglichkeit eröffnet, als Mieter teurer Ladenflächen in guten Innenstadtlage auf die von öffentlicher Hand verfügten Schließungen gegenüber dem Vermieter zu reagieren. Dazu bedient er sich des flexiblen, allerdings wenig konturierten Instruments des „Wegfalls der Geschäftsgrundlage“. Es werde vermutet, dass sich die Geschäftsgrundlage nach Abschluss des gewerblichen Mietvertrags schwerwiegend verändert habe, falls infolge staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID19-Pandemie der Ladenbetrieb nicht mehr bzw. nur mit erheblicher Einschränkung möglich sei. Der Gesetzgeber hat mit Wirkung vom 31.12.2020 das Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch geändert:

 

Änderung des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche

 

Dem Artikel 240 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche (…) wird folgender § 7 angefügt:

 

㤠7

 

Störung der Geschäftsgrundlage von Miet- und Pachtverträgen

 

(1) Sind vermietete Grundstücke oder vermietete Räume, die keine Wohnräume sind, infolge staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie für den Betrieb des Mieters nicht oder nur mit erheblicher Einschränkung verwendbar, so wird vermutet, dass sich insofern ein Umstand im Sinne des § 313 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, der zur Grundlage des Mietvertrags geworden ist, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert hat.

(2) Absatz 1 ist auf Pachtverträge entsprechend anzuwenden.“

 

 

Unterschieden werden die subjektive Geschäftsgrundlage und die objektive Geschäftsgrundlage. Geschäftsgrundlage sind die bei Abschluss eines Vertrages zutage getretenen, dem anderen Vertragsteil erkennbar gewordenen und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen der einen Partei oder die gemeinsame Vorstellung beider Parteien von dem Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt bestimmter Umstände, sofern der Geschäftswille der Parteien auf diesen Vorstellungen aufbaut. Objektive Geschäftsgrundlage hingegen bilden diejenigen Umstände und Allgemeinverhältnisse, deren Vorhandensein oder Fortdauer objektiv erforderlich ist, damit der Vertrag im Sinn der Absichten beider Vertragsparteien noch als eine sinnvolle Regelung bestehen kann.

 

Weiter unterschieden werden die große und die kleine Geschäftsgrundlage. Die große Geschäftsgrundlage ist die dem Vertrag in der Regel zu Grunde liegende Erwartung, dass sich die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Rahmenbedingungen nicht grundlegend verändern. Störungen der großen Geschäftsgrundlage sind zum Beispiel Krieg, kriegsähnliche Entwicklungen, Währungsverfall und alle anderen grundlegenden Änderungen der politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Verhältnisse - dazu wird man sicherlich das Vorkommen pandemischer Infektionskrankheiten zählen müssen. Störungen der großen Geschäftsgrundlage betreffen in der Regel die objektive Geschäftsgrundlage, siehe oben. Alle übrigen Störungen betreffen die kleine Geschäftsgrundlage.

 

Die Geschäftsgrundlage eines gewerblichen Mietvertrags kann infolge nachträglicher Ereignisse wegfallen oder wesentlich erschüttert werden. Der Gesetzgeber hat in § 313 Abs. 1 BGB dafür das Recht des nachteilig betroffenen Vertragspartners begründet, bei schwerwiegender Veränderung der Geschäftsgrundlage die Anpassung des Vertrags zu verlangen, soweit ihm unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Vertragsanpassung meint, dass in den Leistungsaustausch eingegriffen und die Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung neu justiert wird. Dies kann zum Beispiel darin liegen, dass ein Mietzins auf eine schwerwiegend veränderte Geschäftslage neu zu kalkulieren und möglicherweise erheblich zu reduzieren ist.

 

Die Voraussetzungen eines berechtigten Anpassungsverlangens oder sogar eines Rücktrittsrechts bzw. eines Rechts zur Kündigung des gewerblichen Mietvertrags (§ 313 Abs. 3 BGB) sind komplex. Die Voraussetzungen einer Vertragsanpassung sind:

 

  • Umstände, die Vertragsgrundlage geworden sind
  • haben sich nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und
  • die Parteien hätten den Vertrag nicht oder
  • mit einem anderen Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten und
  • einem Teil ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zumutbar.

 

Für die Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses (zum Beispiel: gewerblicher Mietvertrag) ist zusätzlich vorauszusetzen, dass eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder einem Vertragsteil nicht zumutbar ist.

 

Die sehr vorsichtig gebliebene Hilfe des Gesetzgebers, durch Einführung einer gesetzlichen Vermutung im § 7 zu Art. 240 EGBGB das Anpassungsverlangen zu erleichtern, ist wenig wirksam. Das alte Wort von den „Steinen statt Brot“ kommt in den Sinn. Von den oben zitierten Voraussetzungen, welche einem berechtigten Anpassungsverlangen (z. B. vorübergehende Reduzierung der Miete bis auf „Null“) zu Grunde liegen müssen, sind allein die Umstände, welche Vertragsgrundlage geworden sind, und welche sich nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert haben müssen, betroffen. Die gesetzliche Vermutung, dass diese sich nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert hätten, ist freilich ausschließlich prozessrechtlich bedeutsam. Die Vermutung bewirkt, dass die Darlegungserfordernisse des Gewerberaummieters, welcher sich auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage beruft, reduzieren und dass es entgegen den allgemeinen Regeln nunmehr der Vermieter ist, welcher darlegen und beweisen muss, dass sich die Vertragsgrundlage tatsächlich nicht verändert hat bzw. dass die Veränderung nicht schwerwiegend war. Diese Darlegung und dieser Beweis sind dem Vermieter allerdings immer noch möglich. Er wird sich also mit dem Hinweis auf die Widerleglichkeit dieser neu eingeführten gesetzlichen Vermutung gegen das Anpassungsbegehren seines Mieters und gegen die Reduzierung des Mietzinses wehren können. Nur die Beweislast ist übergegangen - prozessrechtlich im Zusammenhang mit der Geschäftsgrundlage ein stumpfes Schwert.

 

Für alle anderen gesetzlichen Voraussetzungen des Anpassungsbegehren oder einer berechtigten Kündigung des Gewerberaummieters bleibt es beim Alten. Er muss immer noch darlegen und beweisen, dass die Geschäftsgrundlage Vertragsinhalt geworden ist, dass er den Vertrag anders oder überhaupt nicht abgeschlossen haben würde, wenn er die Veränderung vorausgesehen hätte und dass ihm die unveränderte Fortführung des Vertrags unzumutbar sei.

 

Tatsächlich wird in Einzelfällen über die Anpassung von Gewerberaummietverträgen bereits prozessiert. Dabei geht es für die Gewerberaummieter nicht immer gut aus. Dies wurde der Warenhauskette C & A vor dem Landgericht München I schmerzhaft bewusst (Urteil Februar 2021, Az. 31 O 11516/20). C & A hatte als Mieterin Mitte März 2020 angekündigt, die Miete für die Einzelhandelsflächen in der Kaufingerstraße in München Zwangsschließung zukünftig nicht zu bezahlen und berief sich neben Sachmängeln auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage. Das Argument der Mieterin, die vermieteten Flächen seien durch die Zwangsschließung mangelhaft geworden, war -wohl zutreffend- schnell vom Richtertisch. In den Fokus geriet die Argumentation, die Geschäftsgrundlage für den Mietvertrag sei weggefallen. Streitgegenständlich war die April-Miete und das Landgericht München befand, diese sei ungeschmälert zu zahlen. Obwohl die Geschäftsräume aufgrund einer Allgemeinverfügung des Freistaates Bayern im April 2020 nicht geöffnet werden durften, sei die unveränderte Fortsetzung des Mietvertrags der Warenhauskette C & A zumutbar, die Bildung einer Rücklage in Höhe einer Monatsmiete sei möglich gewesen, kompensierend habe es sich ausgewirkt, dass sich Umsätze ins Internet verlagerten, außerdem habe C & A für seine Mitarbeiter Kurzarbeitergeld beantragt und dadurch Personalkosten eingespart.

 

Es ist zu erwarten, dass Rechtsmittel eingelegt werden und es bei diesem erstinstanzlichen Urteil nicht bleibt.

 

Eine einheitliche Rechtsprechung der Instanzgerichte hat sich in diesem Themenkreis noch nicht herausgebildet. Eine obergerichtliche oder höchstrichterliche Rechtsprechung steht naturgemäß noch aus. Die Fälle haben die höheren Instanzen noch nicht erreicht. Derzeit ist aus der auch innerhalb des Landgerichts München uneinheitlichen Rechtsprechung die Lehre zu ziehen, dass trotz der beabsichtigten Hilfestellung des Gesetzgebers durch Einführung einer gesetzlichen Vermutung, die Geschäftsgrundlage habe sich durch pandemiebedingte Zwangsschließungen schwerwiegend verändert, das unerfreuliche Prozessrisiko für den Gewerberaummieter fast uneingeschränkt fortbesteht. Dies Risiko besteht nur zu einem Teil aus der möglichen Kostenlast, die aus einem verlorenen Rechtsstreit über mehrere Instanzen zu erheblichen Gegenstandswerten resultiert. Das Risiko besteht zum anderen und wirtschaftlich außerordentlich relevanten Teil aus der Möglichkeit des Vermieters, bei vertragswidrig zurückgehaltenen Mietzahlungen seinerseits den Vertrag fristlos aus wichtigem Grund zu kündigen und den säumigen Gewerberaummieter auf Zahlung von Schadensersatz (u. a. entgangene Nettomiete) zu verklagen.

 

Bevor sich ein Gewerberaummieter dazu entschließt, auf Grund pandemiebedingter Zwangsschließungen gegenüber seinem Vermieter auf die Minderung des Mietzinses anzutragen, sind die eigenen Argumente sorgfältig zu wägen. Die Vermieterseite ist durch die neue Rechtslage keineswegs entwaffnet und es ist nicht zu erwarten, dass erforderliche Einigungen kampflos zustande kommen. Ist eine Einigung nicht möglich, stellt sich die Frage, ob der Gewerberaummieter die Mietzahlung nunmehr einseitig und ohne zu Grunde liegende Einigung zurückhalten soll. Bevor dieser Schritt eingeleitet wird, sollte auf der Grundlage (1.) eines sorgfältig ermittelten Sachverhalts und (2.) bereits ergangener Gerichtsurteile das Prozessrisiko und das Vertragsrisiko aus kundiger Sicht sehr sorgfältig rechtsberatend eingeschätzt werden. Auch nach der neu eingeführten gesetzlichen Vermutung ist ein Rechtsstreit, welcher um nicht bezahlten Mietzins und um die mögliche Kündigung des Gewerberaummietvertrag geführt wird, keine klare Sache - ein Selbstgänger ist dies keinesfalls. Also Vorsicht!

Fachgebiete: